Perspektivwechsel – ein Märchen

Und nun!        

Die ganze Geschichte mal ganz anders!                   

                        Oder: Corona sei Dank

                        Oder: Perspektivwechsel       

Ein Märchen!!!

Prolog:           

Eigentlich von Jugend her ist es mir gegeben, dass mir beim Laufen schon mal eine märchenhafte Geschichte geschenkt wird, deshalb…

Einmal war es, heute am Morgen des 18. März 2020, seit langen Wochen hatte ich endlich mal wieder die Gelegenheit genutzt, sehr früh am Morgen zu laufen, da lief ich durch unsere Felder. Es war ruhig. Ich war allein unterwegs. Kein Mensch in den Feldern. Und nur wenige Autos auf den Straßen. Die Sonne ging auf und änderte ihre Farbe vom Orange ins strahlende Gelb. Sie schien von einem wolkenlosen Himmel auf die Erde herab. Die Luft war noch kühl. Sie schwebt mit ihrem herrlichen Frühlingsduft um mich herum.

Wie im Traum begann sie vor sich hin zu säuseln: Ahhhhh! Endlich mal Ruhe, nichts von diesem klebrigen Staub in meinem Atem. Endlich mal ein Morgen, frisch und frei, sauber und ohne alle diesen Dreck, der ständig in mich hinein gepustet wird.

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, da meldete sich das Gras neben dem Weg. Es streckte sich der Sonne entgegen: ja du hast Recht! Endlich mal sauber, nichts das so ununterbrochen sonst auf mich herabschwebt. Nichts klebt! Ha, so sollte es immer sein! Gesagt, getan – schon wuchs es ein kleines Stück der Sonnen entgegen.

Auch die Bäume und Sträucher am Feldrand reckten und streckten sich: das müssen wir aber schnell ausnutzen. Wer weiß, ob diese Gelegenheit noch mal wieder kommt?… Und sie öffneten ihre kleinen weißen Blüten, hundertfach, tausendfach. Sie strahlten in all ihrer Pracht mit der Morgensonne um die Wette und schütteten ihren betörenden Duft in die frische Morgenluft.

Da krochen auch die kleinsten Tiere aus der Erde und ihren Verstecken, Würmer, Käfer, Insekten. Sie rollten ihre Fühler aus: Ho! Ha! Das haben wir ja noch nie erlebt. Dieser Morgen – das muss der Himmel auf Erden sein!… Schon begannen sie, sich um die nächste Generation zu kümmern, damit auch diese bald ein Stück, einen Tag lang diesen herrlichen Garten des Lebens erfahren durften.

Dann rief eine Stimme aus der Luft. Hoch oben im Himmel sang eine Lerche. In einiger Entfernung eine Zweite. In ihrem Jubel schwangen sie sich immer höher ins Sonnenlicht hinein. – Nichts zu sehen! Keiner von diesen Zweibeinern weit und breit! Die sind weg! Nicht da! Nur dieser eine da! Der zählt nicht! Und auch keine von diesen rollenden Krachmachern und ekligen Grasspuckern!… Und sie sangen und jubilierten in einem weg, schließlich hatten sie ja von ganz oben den Überblick. Es schien, dass alle Ängste und Zurückhaltung von ihnen gewichen waren. Auch andere Vögel, kleine und große, ließen ihre Stimmen erklingen. Die Luft, das ganze Feld füllte sich mit ihrem Gesang.

Davon ließen sich noch andere Tiere anstecken. Vier Feldhasen hüpften und sprangen in rasendem Tempo über das Feld:  Endlich, endlich mal ein Tag ohne sie! Alle weg! Alle in ihren selbstgebauten, schrecklichen, steinernen Wohnhöhlen.

Was ist denn los? Warum? fragte etwas ängstlich eine kleine Raupe, und schaute hinter ihrem Blatt hervor:  Die sind doch sonst nicht so zimperlich!

Da begannen alle zu überlegen und nach dem Grund zu forschen, wusste man doch nie, was diese schrecklichen Zweibeiner an neuen Katastrophen ausheckten. Da meldete sich eine kleine Maus. Über ihren immer gut informierten Mäusefunk hatte sie etwas gehört. Die Käfigmäuschen hatten eine Information weiter gegeben. Schon gab sie diese zum Besten:  Sie haben Angst! Es ist einer von uns! Einer von uns Geschöpfen! Von den ganz, ganz Kleinen! Wir alle können es nicht sehen! Da gibt es auch nichts zu hören! Schmecken tun sie wohl auch nicht! Aber es gibt soooooo viele davon! Eigentlich tun die auch nix! Nur den Zweibeinern rücken sie auf die Pelle!

Da mussten alle laut auflachen, dass es weit über die Wiese zu hören war. Alle feierten mit lautem Hallo die Winzig-Kleinen. Stolz erfüllte, denn einer von ihnen hatte diese zweibeinige Seuche, die sie seit langer Zeit alle so sehr bedrängte, der sie alle hilflos ausgeliefert waren, wohl zur Strecke gebracht. Sie zurück in ihre Höhlen gedrängt!

Großer Dank erfüllte sie! Dank für ihr Leben! Dank an den, der ihnen diese wunderbare, traumhaft schöne Welt schenkt! Dank an den, der ihnen den Retter aus all ihrer Not geschickt hatte! Dank an den Kleinsten der Kleinen für seine uneigennützige Tat!

Und sie sangen und jubelten und (beteten – Quatsch, da bin ich wohl zu sehr in meinen beruflichen Jargon geraten) baten darum, dass dieses Erlebnis noch lange, lange anhalten möge.

Und die Sonne, die mittlerweile schon höher am Himmel stand, strahlte von oben herab, die Sonne, die schon so vieles von ihrem hohen Stand am Himmel gesehen hatte und über alles wachte, was so tagsüber passierte. Jetzt erhob sie mahnend ihre Strahlen: Seid nicht laut! Leise! Jubelt nicht so zu früh! Weckt sie nicht auf! Fordert es nicht heraus! Ich kenne sie seit tausenden und abertausenden Sonnenauf- und -untergängen! Wehe euch, wenn sie wieder erwachen!

Diese Ermahnung ließen sie alle über sich ergehen. Es wurde wieder leiser, ruhiger. Stille kehrte zurück über den Feldern. An dieser Stille freuten sich alle, alle. Das konnte ich im Weiterlaufen am meinem ganzen Körper spüren.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann freuen sie sich auch heute Abend noch! Doch…

Epilog – Perspektivwechsel:

Als ich dann am Mittag, 18.03.2020, von Kaldenkirchen nach Dülken auf der Autobahn nach Hause fuhr, da musste ich es miterleben. Ein vierrädriges Monstrum mit seinem Transformerausleger rupfte, zupfte sägte, raspelte, riss, zerschnitt, zerstückelte all die Sträucher und niedrigen Bäume, ihre dicken und dünnen Zweige, die gesamt weiße Blütenpracht ohne Mitleid, ohne Halten ohne Achtung. Wer nicht bei Drei vom Baum oder Strauch kam, um den war es bei diesem grölenden Ungetüm geschehen.

Bernhard Müller 18.03.2020

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